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Südamerika 2022 – Argentinien

Freitag, 23.12.2022 – Im Land des Fußball-Weltmeisters angekommen

Heute ist wieder mal früh Aufstehen angesagt. Denn möglicherweise startet die Fähre um sieben Uhr. Und dann will ich dabei sein. Das Frühstück steht auch schon auf dem Tisch und langsam finden sich alle hier Gestrandeten ein. Das Wetter ist eigentlich phantastisch: klarer Himmel und Sonnenschein. Aber es weht halt immer noch eine steife Brise. Wenn auch nicht ganz so stark wie gestern, so jedenfalls mein Eindruck. Das Windradar im Internet verheißt jedoch für heute immer noch starke Winde. Also schnell packen, das Moped aufsatteln und die paar hundert Meter zum Hafen gefahren. Dort ist noch alles ruhig. Ein paar Autos warten schon und etliche Leute sitzen in der Wartehalle. Es tut sich jedoch über eine Stunde nichts. Dann plötzlich werden alle unruhig. Einer erklärt mir, daß die zweite, kleinere Fähre wohl demnächst abfährt. Also nichts wie rüber zum zweiten Anleger. Und tatsächlich wird die grade mit LKW und Autos beladen. Und zum Schluss hat die Yamaha auch noch Platz am Rande gefunden. Gegen halb neun legt der Kahn dann für die 4-stuendige Überfahrt ab. Anfangs hat alles noch nach einer gemütlichen Überfahrt ausgesehen. Aber als die Fähre die lange Bucht verlassen hat, wird der Wind sehr viel stärker und die Wellen entsprechend höher. Damit der Kahn nicht zuviel Seitenwind bekommt, hält der Skipper den immer schön gegen Wellen und Wind. Für meinen Begriff schaukelt die Fähre ganz schön auf und knallt bugseitig heftig gegen die Wellen, sodass es die Gischt meterhoch aufwirbelt. Wie lange die Burgklappe der Fähre das wohl noch mitmacht. Ganz wohl ist mir nicht. Nicht daß ich seekrank werde, aber sicherheitstechnisch habe ich Bedenken. Ich hoffe nur, die beiden LKW und der Bus sind gut festgezurrt. Denn die schaukeln bedenklich. Sollte sich die Ladung verschieben, dann kentern wir. Und das ein Tag vor Weihnachten.
Plötzlich kommt der Skipper aus der Brücke geschossen und rennt die Treppe zum Fahrzeugdeck runter. Ich habe nicht gesehen weswegen. Als er wenig später langsam und sichtlich erleichtert die Treppe wieder hoch steigt, frage ich ihn: “Todo bien?” – “Si, todo bien”, antwortet er, “Alles gut”. So ganz sicher bin ich mir jedoch nicht.
Auch meine Yamaha wackelt bedenklich auf dem Hauptständer an der Reling. Wenn ich gewusst hätte, dass es so ungemütlich wird, hätte ich sie festgezurrt. Aber bei dem Seegang kann ich nicht runter zu ihr. Den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da erwischt ein besonderes großer Wellenbrecher das Schiff und die XTZ kippt unter einem lauten Knall um. Nach dem ersten Unfall in Bolivien, jetzt also der erste Umfaller. Und ich kann nur zusehen wie sie da liegt. Eine halbe Stunde später kommen wir in Küstennähe und die See wird ruhiger. Ich laufe runter und hebe die Karre mit einem Fährarbeiter wieder auf. Sie springt auch gleich an und außer dem Kupplungshebel hat es nichts erwischt. Der ist jetzt noch mehr gebogen, als nach dem Unfall.
Nach fünf Stunden laufen wir endlich in den Hafen von Chile Chico ein – mir fällt ein Stein vom Herzen. Aber Wind gibt’s hier immer und solche Fahrten sind wohl nicht selten. Die Fährarbeiter jedenfalls sind ruhig geblieben.
Nur ein paar Kilometer hinter Chile Chico ist der chilenische Grenzposten. Dort ist gar nichts los. Ich zeige meinen Pass, der abgestempelt wird. Außerdem wollen sie das Dokument sehen, das ich bei der Einreise für das Motorrad bekommen habe. Das behalten sie, stellen mir jedoch einen neuen Zettel für den argentinischen Zoll aus. Keine fünf Minuten später habe ich dann auch schon Chile verlassen. Vier Kilometer später wartet dann auch der argentinische Zoll. Ein paar Leute stehen vor mir. Dass einen die Argentinier lange warten lassen, wie mir gesagt wurde, ist zumindest hier ein Gerücht. Denn auch ohne weltmeisterliches Messi -Trikot werde ich schnell angefertigt und kann weiter. Am Ausgang treffe ich auf ein junges Bikerpaar aus Kolumbien. Die sind sechs Monate unterwegs mit einer 150ccm Suzuki. Das nenne ich mal sportlich. Das Moped ist von oben bis unten vollbepackt. Und als beide drauf sitzen, sieht man vom Zweirad fast nichts mehr. Wir tauschen WhatsApp Nummern aus. Denn falls ich nächsten Winter von Paraguay nach Norden fahre, soll ich unbedingt in deren Heimatstadt Medellin vorbei schauen.
Am Grenzort Los Antiguos tausche ich meine übrigen chilenischen Peso noch in einen Bündel argentinischer Peso um. Die weiteren 60 km bis zu meinem Tagesendziel, der Stadt Perito Moreno, bekomme ich einen Vorgeschmack auf das, was mich die nächsten Tage erwartet. Denn der Wind bläst wieder orkanartig heftig. Und immer, wenn er von der Seite kommt, schlimgerst du auf der Straße herum und musst vom Gas gehen, um einen Sturz zu vermeiden. Mit dem Kerman Hotel habe ich dann auch eine erschwingliche Bleibe für die Nacht gefunden.

 

 

Samstag, 24.12.2022 - Durch die Pampa an den Atlantik (km 8997)

Heute ist "der Tag der Entscheidung". Wohin führt meine Reise als nächstes? Richtung Norden wieder, oder doch bis in den Süden, ans "Ende der Welt". Eigentlich habe ich die Entscheidung schon vor Tagen getroffen. Nämlich nicht wie ursprünglich geplant bis nach Feuerland zu fahren, sondern von hier aus wieder den Rückweg anzutreten. Für diesmal aufgeschoben, aber nicht aufgehoben, ist Ushuaia, der Nationalpark Torres del Peine sowie die Attraktion El Calafate. Denn das würde von hier aus nochmals über 3000 extra Kilometer bedeuten und vor allem sehr viel Wind und mindestens 8-10 Tage Reisedauer. Also wird das für diesmal gestrichten, bleibt aber auf der "Bucketliste".
In Patagonien ist die wichtigste Wetterprognose nicht die Temperatur und der Niederschlag, sondern der Wind - wenigstens für mich. Denn Wind gibt's hier immer, mal weniger, meistens mehr. Und so schaue ich mir auch nicht das Regenradar an, sondern das Windradar. Und das ist heute durchgängig grün. Das heißt, es gibt (für hiesige Verhlältnisse) wenig Wind. Gute Voraussetzungen, um die Etappe durch den Kontinent an die atlantische Ostküste in Angriff zu nehmen. Denn Südamerika ist hier nur etwa 400 km breit. Das wirklich gute Frühstücksbuffet im Hotel Kerman lasse ich mir jedoch nicht entgehen.
Bei den wenigen befestigten Straßen, die es hier gibt, kann man sich eigentlich nicht verfahren. So aber ist es mir geschehen. Am einzig möglichen Abzweig, 20 km hinter Perito Moreno, fahre ich gradeaus, anstatt nach links auf der Ruta 40 zu bleiben. Dreißig Kilometer später habe ich es dann bemerkt und bin umgekehrt. Aber was man nicht im Kopf hat, hat man dann im Tank. Siebzig Kilometer weiter passe ich dann besser auf und biege auf die Ruta 26 Richtung Sarmiento ab. Die Straße führt fast immer schnurgeradeaus nach Osten. Ansiedlungen gibts parktisch keine. In der Stadt Sarmiento, mitten in der Pampa, mache ich Mittagspause und tanke nach. Für interessierte Geologen gäbe es 30 km südlich von hier versteinerte Urzeitwälder zu sehen, oder ab die beiden großen Seen nördlich der Stadt. Ich aber will weiter nach Osten in die Atlantikstadt Comodora Rivadavia. Das sind nochmal 160 km zu fahren. Aber mit dem patagonischen Rückenwind sind auch die in knapp zwei Stunden abgefahren.
Die Stadt sollte ursprünglich als Hafen für landwirtschaftliche Produkte dienen. Als man aber nach Grundwasser gegraben hat, ist man auf Öl gestoßen. Das hat alles verändert. Auch heute noch sieht man viele Pumpen weit verstreut von der Straße aus. Das Trinkwasser indes, wird von den beiden Seen bei Sarmiento nach Comodoro Rivadavia gepumpt.
Bei der Suche nach einem Hotel in der Innenstadt hat mich Adrian abgefangen und gleich mit nach Hause genommen. Denn er hat ein Hostel und Zimmer zu vermieten - wie praktisch. Und Motorradfan ist er auch noch - ach wie schön! Er hat schon viele Biker bei sich beherbergt. Die sind alle auf dem Weg in die südlichste Stadt der Welt, Ushuaia. Adrian will mich davon überzeugen, doch noch dorthin zu fahren. Ich aber würde mir gerne noch Uruguay und den Süden Brasiliens ansehen und mit der Yamaha abfahren. An einem warmen Strand würde ich schon gern noch ein paar Tage verbringen und nicht die restliche Zeit hier in Südamerika auf der XTZ sitzen. Also bleibt die Entscheidung: morgen geht es wieder Richtung Norden.
Am heutigen Heiligabend wollte ich mir schon ein ordentliches Menu gönnen. Aber hier haben tatsächlich alle Kneipen und Restaurants geschlossen. Einzig eine Bäckerei (Panaderia) hat noch offen. Dann gibt es halt heuer nur Pizza mit Weihnachtsgebäck und Dosenbier. Interessant hier ist, daß am Heiligabend gefeiert wird (wie bei uns), aber um Punkt Mitternacht geht die Sirene los und ein großes Feuerwerk wird abgeschossen, denn der Heiland ist geboren - schönes Schauspiel.

 

 

Sonntag, 25.12.2022 - Vom Winde verweht (km 9434)

Der "Point of no Return" führt mich heute früh nach Norden. Und schon wenige Kilometer nachdem ich die Stadt verlassen habe, ist für mich klar, daß das die richtige Entscheidung war. Denn der patagonische Wind bläst wieder mal so immens, daß ich die Geschwindigkeit auf unter 90 km/h verringern muß. Ansonsten könnte ich die Maschine nicht auf der Straße halten. Kaum auszudenken, ich wäre noch die 1500 km nach Feuerland gefahren, wo der Wind noch heftiger tobt. Hier in Küstennähe des Atlantik kommt der Wind aus Osten, also von der See her. nur 50 km weiter westlich im Landesinneren kommt er aus der anderen Richtung. So auch 50 km weiter, denn die Ruta 3 führt znächst ins Landesinnere. Außerdem kühlt es massiv ab, sodaß ich meine Fleeceweste wieder drunter ziehen muß.
Anderthalb Stunden später und 100 km weiter lässt der Wind dann plötzlich merklich nach, sodaß ich entspannter fahren kann. Nach 2 Tankstopps und 440 gefahrenen Kilometern komme ich dann am Nachmittag in der Küstenstadt Purto Madryn an. Die letzten 100 km ist es so viel wäremer geworden als heute früh, daß ich mich fast sämtlicher Motorradkleidung entledigen muß, um nicht zu schwitzen. Am Ortsausgang der Stadt Trelew, 70 km vor Puerto Madryn, thront der größte Dinosaurier, den es je gegeben hat, in Lebensgröße. Der Titanosaurus (Patagotitan mayorum) gilt als der Koloss unter den Landtieren: Mit fast 70 Tonnen Gewicht und einer Länge von knapp 35 Metern von der Nase bis zur Schwanzspitze war er zwar leichter als der Blauwal, dafür aber auch etwas größer
Puerto Madryn ist ein sehr touristischer Küstenort. Hier gibt es einen sehr langen Badesandstrand (mit ein paar wenigen Palmen!). Die Hauptattraktion sind jedoch die vielen Meeresstiere, die hier beobachtet werden können: Pinguine, Wale, Seelöwen, Seeelefanten, Delfine und vieles mehr. Abgestiegen bin ich im sehr schönen Hostel "La Tosca", direkt in der Innenstadt.

 

Montag, 26.12.2022 - Pinguine und Seelöwen (km 9838)

Praktisch an der ganze Ostküste Argentiniens, also am atlanischen Ozean, kann man Meerestiere beobachten. Vor allem an der nördlich von Puerto Madryn gelegenen, 100 km großen Halbinsel, Peninsula Valdes. Dafür sollte man ein paar Extratage einplanen. Die will ich mir aber nicht nehmen. Zumal man nur 17 km südlich von hier Seelöwen sehen kann. Dorthin fahre ich gleich um 7 Uhr in der früh. Der Parkeingang scheint noch geschlossen, da das Gatter abfgesperrt ist. Wann hier aufgemacht wird, ist aus dem von der Sonne vergilbten Schild am Eingang nicht ersichtlich. Das Tor kann man auch umlaufen. Und so lasse ich das Moped davor stehen und gehe den Kilometer zu Fuß bis zum Aussichtspunkt. Eine Viertelstunde später, ich habe grade meine Fotos von den Seelöwen gemacht, spricht mich ein Ranger von hinten an. Was ich hier schon mache? "Ich beobachte die Seelöwen", sage ich. Für Besucher erst um halb neun, meint er. "Disculpe, no me lo dijo", entschuldige ich mich. Das hat mir niemand gesagt. Damit ich schneller wieder draußen bin, fährt er mich mit seinem Pickup zum Eingang zurück. Als ich ihm zur Fußballweltmeisterschaft gratuliere, wird er gesprächiger und wir sind auf demselben Level. Ich komme später wieder, sage ich zu ihm. Wiedergekommen bin ich jedoch nicht, da ich meine Fotos bereits gemacht hatte.
Leider ist seit Mitte Dezember die Walsaison hier vorbei. Denn die kann man hier über mehrere Monate schon vom Strand aus beobachten. Eine beliebte Tour hier ist auch, mit den neugierigen Seelöwen tauchen oder schnorcheln zu gehen. Doch 150 Euro für eine Tagestour scheint mir etwas übertrieben. Mehr interessieren mich die Pinguine. Doch hier im Hostel erfahre ich, daß ich gestern an der größten Kolonie auf der Herfahrt schon vorbeigefahren bin. Denn die befindet sich am Punta Tombo, südlich von Trelew an der Küste. Es bleibt mir also nichts anderes übrig, als nicht nur die 68 km bis Trelew zurückzufahren, weitere 54 km Richtung Süden, dann den Abzweig mit 37 km befestigter Straße Richtung Küste und nochmals 22 km Schotterpiste zum Nistplatz der Pinguine. Summa summarum also 181 km einfache Fahrt - na dann mal los! Zwei Stunden später bin ich dann auch dort. Man bezahlt ca. 15 Euro Eintritt, berekommt vom Ranger noch Verhaltensanweisungen (nicht näher als zwei Meter ran an die Tiere) und kann dann auf den vorgegebenen Wegen durch die Kolonie gehen. Schon am Eingang "wackeln" zwei der putzigen Magellan-Pinguine teilnahmslos an mir vorbei. Die sind etwa 50 cm groß. Sie brüten hier in Strandnähe in eigens gegrabenen Höhlen. Es sind praktisch immer welche zwischen dichten Büschen und dem Meer unterwegs. Sie watscheln alleine oder in Gruppen zum Strand, wo sie zur gemeinsamen Futtersuche in die Fluten schwimmen. Ein sehr schönes Schauspiel, dem man den ganzen Tag zusehen könnte. Aber ich muß ja nochmals 22 km Schotterpiste hinter mich bringen und ne lange Autobahnfahrt obendrein. Also ist für mich nach zwei Stunden Schluß hier. Nochmals 30 km weiter auf unbefestigten Straßen könnte man Seeelefanten beobachten, aber die schaffe ich heute nicht mehr. Genauso wie die noch etwas weiter entfernten Delfine.

 

 

Dienstag, 27.12.2022 - Wasch-, Putz- und Ruhetag

Eigentlich wollte ich heute schon weiter fahren Richtung Norden. Aber der heiße Sonnentag gestern und die lange Fahrt haben mich echt geschlaucht. Außerdem stehen die nächsten drei Tage 1200 km zu fahren an. Und so verlängere ich einen Aufenthalt hier im Hostel La Tosca noch um einen Ruhetag am Meer. Aber nur Ruhen ist heute nicht angedacht. Denn die müden Knochen müssen mal wieder bewegt werden. Und so laufe ich ein paar Kilometer an der schönen Strandpromenade hier, morgens um sieben Uhr, als die Stadt grade erwacht.
Desweiteren muß die Wäsche unbedingt mal wieder in einer "Lavanderia" gewaschen werden. Das hätten auch die Motorradklamotten dringend nötig. Aber allein für die verdreckte Hose wollen die 12 Euro Reinigungskosten haben. Also wird die halt mitsamt der Jacke und den Stiefeln im Hostel gewaschen. Die haben nämlich ein großes Waschbecken mit Heißwasser im Außenbereich. Auch die Yamaha wird mal wieder vom größten Dreck befreit, die Kette gereinigt und neu eingeölt. Dazu werden auch die Satteltaschen demontiert, ausgeräumt und ebenfalls gereinigt. Nicht zu vergessen, den Ölstand zu kontrollieren nach gefahrenen 3000 km seit dem letzten Ölwechsel. Der kaputte linke Außenspiegel hat sich auch wieder mal gelöst und muß festgeschraubt werden. Dasselbe gilt für den Navihalter. Die Schotterpisten machen der Maschine halt doch zu schaffen.
Für einen Strandspaziergang am Nachmittag bleibt aber dann doch noch Zeit. Hier ist heute fast nichts los, im Vergleich zu den Weihnachtstagen gestern und vorgestern.

 

 

Mittwoch, 28.12.2022 - Mammutetappe nach Bahia Blanca (km 10552)

Heute will ich mal wieder Kilometer auf dem Asphalt herunterreißen. Glücklicher weise gibt es hier im La Tosca Hostel das Frühstück schon ab 6 Uhr. Das habe ich sonst nirgenwo so früh bekommen. Eingeparkt hat mich der Kolumbianer Alejandro Murcia mit seiner Suzuki V-Strom. Dem mußte ich gestern Abend noch die Kette spannen. Denn er wußte nicht, wie das geht. Für meinen Begriff hat er sowieso viel zu viel Gepäck dabei. Sogar einen zweiten Sturzhelm, falls er mal jemanden mitnehmen muß. Aber auch er ist schon um sechs wach und will, wie ich, früh wegkommen. Nur daß sein Ziel, wie das der meisten Biker hier, der südlichste Ort der Welt ist - die Stadt Ushuaia in Feuerland. Das muß schon so etwas wie das Mekka aller Motorradfahrer sein - nur eines halt nicht!
Wir verabreden uns für nächstes Jahr in seiner Heimatstadt Bogota und fahren los: er nach Süden in die Kälte, ich nach Norden in die Wärme. Heute früh ist es jedoch alles andere als warm. War es vorgestern noch mit weit über 30 Grad viel zu heiß, so bläst heute wieder ein kalter Wind. Also wieder alle Klamotten, samt Fleecejacke anziehen, um nicht krank zu werden.
Nach anderthalb Stunden Fahrt halt ich an und lege eine Gedenkminute ein. Denn der Tachometer zeigt exakt 10.000 gefahrene Kilometer an. Eine Dose Bier hätte ich ja noch im Gepäck. Aber mit wem soll ich anstoßen? Und außerdem gibt's keinen Alkohol am Lenker.
Nach 440 gefahrenen Kilometern und zwei Tankstopps, komme ich an mein gestecktes Tagesziel, der Stadt Viedma, an. Allerdings ist es erst 13:30 Uhr. Da könnte man ja noch ne Schippe drauflegen heute. Und nach nem weiteren Boxenstopp und einer Rast für mich, führt die Ruta National 3 weiter nach Norden. Bis Viedma hat sich die Landschaft nicht verändert, seit ich in Argentinien unterwegs bin. Die Pampa will einfach nicht aufhören. Buschland und Sträucher bis zum Horizont. Aber ab Viedma ändert sich das plötzlich. Büsche sind kaum noch zu erkennen, dafür viele Felder und Weideland. Hier ist grade Hochsommer und die riesigen, nicht aufhören zu wollenden Getreidefelder werden gerade abgeerntet. Schon 175 km vor Viedma, in San Antonio, lässt der Verkeher auf der RN3 merklich nach. Denn die führt weiter nach Osten während die RN250 nach Norden Richtung Buenos Aires führt. Und dahin, bzw. von dort weg, rollt der Verkehr.
Nach 12 Stunden Fahrt erreiche ich dann, doch ziemlich kaputt, die Hafenstadt Bahia Blanca. Bahia Blanca ist eigentlich nicht als Urlaubsort bekannt, sondern eher als Industrie- und Handelshafen. Und so ist es nicht ganz einfach hier eine passable Unterkunft zu finden. Nach langem Hin- und Herfahren in der Stadt hat mir ein Passant dann das "Hospedaje La Sarranita" gezeigt. Dort bin ich dann auch sofort abgestiegen, ein weiterer Kilometer wäre nicht mehr möglich gewesen. Bis zu einem Restaurant, drei Häuserblocks weiter, kann ich mich dann doch noch schleppen. Denn der Hunger ist größer als die Müdigkeit. Doch danach ist Schluß - das Bett ruft. Und morgen stehen wieder mehr als 400 km auf dem Programm.

 

 

Donnerstag, 29.12.2022 - Weiter nach Mar del Plata (km 11017)

Das Hospedaje La Sarranita kann mir kein Frühstück bieten. Das habe ich mir schon gestern in der Despensa (Tante-Emma-Laden) um die Ecke gekauft. Zu sehen ist von den Vermietern auch niemand. Die Frau hat mir gestern signalisiert, daß ich mit meinem Schlüssel das Tor nach draußen öffnen kann, das Motorrad rausschieben soll, alles wieder abschließen und den Schlüssel unter durch werfen soll. So mache ich das dann auch. Ich darf halt nichts vergessen drinnen. Sonst habe ich ein Problem.
Die Fahrt führt praktisch den ganzen Tag Richtung Osten, ein gutes Stück innerhalb der Atlantikküste. Nach etwa 200 km verlasse ich die Ruta National 3 (RN3), denn die führt ab hier (Tres Arroyos) nach Norden bis in die Hauptstadt Buenos Aires. Ich aber will noch gute 200 km weiter nach Osten fahren auf der RN228 in die Küstenstadt Mar del Plata, dem Int größten und bekanntesten Urlaubsort in Argentinien.
Auch heute fahre ich wie seit gestern Mittag durch unendliche Weiten von meist abgeernteten Getreidefeldern, auf denen große Rinderherden weiden. Immer wieder mal fährt man an einer "Cooperativen" vorbei. Das sind landwirtschaftliche Genossenschaften, die die Ernte in riesigen Silos speichern. Die kenne ich schon von Paraguay, nur sind die hier im Norden Argentiniens noch eine Nummer größer.
Auch heute treffe ich wie die vergangenen Tage einige entgegenkommende Motorradfahrer, meist Brasilianer. Die sind alle auf dem Weg Richtung Süden, nach Ushuaia. Ich glaube, ich bin der Einzige, der nach Norden fährt.
Das Hostal Brown habe ich übers Internet gebucht. Leider haben die, wie fast alle Unterkünfte in den Innenstädten, keine Parkmöglichkeit für ein Motorrad. Das muß ich kostenpflichtig (teuer!) um die Ecke in einem separaten "aparcamiento" abstellen.

 

 

Freitag, 30.12.2022 - Am Teutonengrill der Argentinier

Das was die norditalienischen Badestrände für die Deutschen sind, wie z. B. Rimini oder Jesolo, das ist Mar del Plata für die Argentinier. Die Stadt "schläft" in der Nebensaison, also im südamerikanischen Winter, und hat dann etwa 600.000 Einwohner. Zur Hauptsaison im Januar und Februar, wenn hier die großen Ferien sind, dann werden es bis zu 3 Millionen (!) mehr. Jetzt zwischen Weihnachten und Neujahr sind es noch nicht ganz so viele, sagte man mir.
Aber die Bilder gleichen doch den Stränden im Sommer Italiens. An vielen kleinen Buchten und künstlichen Riffen tummeln sich tausende von Urlaubern. Die Strände sind zwar alle offen, aber viele Bereiche sind abgesperrt. Sonnenschirme und Liegestühle sieht man hier nicht so viele. Dafür hunderte von Strandzelten, parzellenartig aneinandergebaut. Also der etwas einfachere Strandkorb. Von weitem sieht es aus wie eine Zeltstadt.
Das bunte Treiben dort, schaue ich mir erst am Nachmittag an. Vormittags gehe ich mal wieder ins Fitnessstudio. Das habe ich gestern Abend beim Stadtbummel zufällig entdeckt. Mein letztes Krafttraining war vor ca. 3 Wochen in La Serena in Chile, also schon viel zu lange her.

 

 

Samstag, 31.12.2022 - Silvester

Heute steht noch weniger als gestern auf dem Programm - nämlich gar nichts. Ich vertreibe mir die Zeit am Strand unter Palmen und lerne mal wieder spanische Vokabeln. Zu Hause hatte ich tatsächlich mehr Zeit, täglich mich dieser Fremsprache zu widmen, also hier. Dafür muß ich sie täglich anwenden.
Das Hostal Brown ist eine wirklich empfehlenswerte Unterkunft, nur mit dem Nachteil, daß die nur 1 Badezimmer haben und kein separates WC. Und das ist natürlich notorisch überbelegt. Wenn du da mal schnell austreten mußt, mußt du das Hostel verlassen und ein Restaurant suchen, oder zur 500 Meter entfernten Tankstelle laufen - das gibt Minuspunkte bei der Bewertung. Duschen muß man halt antizyklisch, also dann, wenn alle anderen nicht wollen: am frühen Morgen, wenn alles schläft, oder am frühen Nachmittag, wenn alle am Strand sind.
In Mar del Plata bin ich auch deshalb abgestiegen, weil ich mir hier eine schöne Silvesterparty erwartet habe. Und tatsächlich finden sich eine Stunde vor Mitternacht tausende von Leute am Strand. Und mit dem Feuerwerk über der Stadt gibt das schon ein stimmungsvolles Bild. Aber viel Trinken kann und will ich nicht, denn morgen früh fahre ich in die Hauptstadt Buenos Aires weiter.

 

 

Sonntag, 01.01.2023 - Fahrt nach Buenos Aires (km 11427)

Nach dem "basic Frühstück" im Hostel Brown fahre ich um halb neun Uhr los. Um diese Zeit kommst du an einem Neujahrsmorgen bestens und schnellstens aus der Stadt. Denn das Partyvolk schläft noch und die Straßen sind entsprechend leer. Daß der Himmel heute bedeckt ist, tut dem Fahren keinen Abbruch - dann muß ich schon nicht schwitzen. Daß es aber nach zwei Stunden zu Regnen anfängt und auch nicht wieder aufhören will, müsste nicht zwingend sein. Dann kommt halt die in Santiago gekaufte Regenjacke zum Vorschein.
Zwei Tankstopps und 415 km weiter bin ich dann auch schon in der Hauptstadt Buenos Aires. Bevor ich jedoch zum gebuchten Hostel "Che Jose" in die Innenstadt fahre, mache ich noch einen Stop am Hafen bei "Colonia Express". Denn mit der Fährgesellschaft will ich am Mittwoch den Sprung nach Uruguay schaffen. Und wenn ich schon mal da bin, dann kaufe ich auch gleich ein Ticket.
Maps.Me lotst mich danach auch zielsicher in die Innenstadt zum Che Jose. Leider haben die keine Parkplätze und alle Parkhäuser in der Umgebung sind heute an Neujahr geschlossen. Dann muß die Yamaha halt mal draußen nächtigen. Gut, daß nur 30 Meter weiter eine Polizeistation ist - hoffentlich passen die auf.
Für eine größere Stadtbesichtigung an diesem verregneten Tag habe ich wahrlich keine Lust mehr. Aber morgen soll das Wetter laut Vorhersage ja besser werden.

 

 

Montag, 02.01.2023 - Buenos Aires City Tour

Das erste, was ich heute früh nach dem Aufstehen tun muß, ist, ein Parkhaus für das Motorrad suchen. Schon um halb neun, als ich es aufschließe, werde ich von einem Ladenbesitzer angeschnauzt, warum die Karre hier steht. Dem mußte ich erstmal erklären, daß gestern alle Parkhäuser geschlossen waren. Aber von denen gibt es hier echt viele in der Innenstadt. Grade  50 Meter um die Ecke ist eines. Und weil der Helm auf dem Zimmer liegt und ich zwei Einbahnstraßen gegen die Richtung fahren müsste, schiebe ich die Yamaha halt die 50 Meter. Mit der Polizei gegenüber will ich dann doch keinen Ärger bekommen.
Frühstück gibt's im Che Juan Hostel, wie in den meisten anderen Hostels auch, keines. Aber gleich nebenan ist ein Cafe mit frischem Gebäck - wie praktisch. Und ein Haus weiter ein Tante-Emma Laden mit frischem Obst. Es ist auch von Vorteil, wenn man in der Fußgängerzone wohnt.
Wie in Santiago de Chile auch, so gibt es auch in Buenos Aires "Free City Tours". Die kosten nur das Trinkgeld, das man dem Guide hinterher gibt. Veranstaltet werden die hier von  buenosairesfreewalks.com . Los geht's um halb elf an der Ecke des Teatro Colon. Die Touren sind jedoch so beliebt, daß scharenweise Leute sich am Treffpunkt einfinden. Drei Guides sind auch da: einer in spanisch und zwei in englischer Sprache. Auch nach der Aufteilung auf die drei Guides hat eine Gruppe noch ne Stärke von bestimmt 50 Personen - absolut zu viel.
Hängengeblieben bei mir ist der Gründer der Stadt, General San Martin. Der sitzt hoch zu Roß auf einem Denkmal. Die Akustik der hiesigen Oper soll weltklasse sein. Das behaupten die führenden Tenöre der Welt. Die Eintrittskarten sind auch recht erschwinglich. Aber man muß halt lange im Voraus buchen. Denn das Haus ist ständig ausverkauft.
Am historischen Zentrum von Buenos Aires liegt der Plaza de Mayo. Dort finden im Schnitt viermal wöchentlich Demonstrationen statt.
Die Avenida 9 de Julio (Unabhängigkeitstag) ist mit 125 Metern Breite eine der breitesten Straßen der Welt. Und bei dem Verkehr hier ein Alptraum für Fußgänger. Will Auman sie in einem Gang überqueren, muß man schon sehr schnell sein. Denn die Grünphase für Fußgänger beträgt grade mal 15 Sekunden. Und nicht jeder ist so schnell wie Usain Bolt. Auf dieser Prachtstraße fanden auch vorige Woche die Feierlichkeiten zur Begrüßung der neuen Fußball-Weltmeister aus Argentinien, mit Millionen von Menschen, statt. Da wäre ich gerne schon hier gewesen, hat aber leider zeitlich nicht hingehauen. Das Zentrum der Straße bildet ein großer Obelisk.
Auch der derzeitige Papst stammt aus Buenos Aires. Nur daß der seit seiner Ernennung kein einzies Mal hier in seiner Heimat war, nehmen ihm die Leute hier übel.

 

 

Dienstag, 03.01.2023 - Stadtteil La Boca & Boca Juniors

Der Stadtteil La Boca liegt an der Mündung des Flusses Riachuelo. Der soll einer der dreckigsten Flüsse der Welt sein. Das kann ich zweifellos bestätigen, ohne die anderen gesehen zu haben. Denn Leben existiert da drin bestimmt keines (mehr).
Aber nicht der dreckigste Fluß der Welt ist es, warum ich heute früh den Bus Nr. 10 vom Obelisco hierher genommen habe, sondern der Stadtteil La Boca. Viele der Häuser hier sind angeblich aus altem Schiffsblech gebaut und farbenprächtig mit Schiffslack bunt gestrichen. Das touristische Zetrum ist rings um die Straße Caminito angeordnet. Auch wenn sich hier täglich tausende Touristen durchdrängen, so hat die Gegen hier kaum von ihrem Flair verloren. Cafes, Restaurants und Souvenirshops findet man zuhauf. Viele der Häsuer sind nicht nur mehrfarbig gestrichen, sondern mit Gemälden verschönert. Hier erlebt man Lateinamerika, wie man es vom Bilderbuch her kennt.
Aus La Boca stammt auch der Tango. Er wurde angeblich in einer der Kneipen auf der Calle Necochea erfunden. An einem Restaurant kann man den auch in vollendeter Ausführung von einem Tanzpaar bestaunen.
Viele der Häuser sind in den Farben dunkelblau/gelb angestrichen. Das kommt daher, daß das die Vereinsfarben des Fußballvereins der Boca Juniors sind. Denn deren Stadion, die "Bombonera" (Pralinenschachtel), liegt nur einen Steinwurf entfernt. Schon auf dem Weg dorthin wird man an den berühmtesten Fußballspieler des Clubs, und einen der berühmtesten Spieler der Welt, Diego Armando Maradona, erinnert. Den sein Bildnis ziert viele der Häuser hier. Leider kann das Stadion heute nicht besichtigt werden. Dafür hat deren Fußballmuseum, das "Museo de la Pasion boquense", offen. Für etwa 8 Euro kann es besichtigt werden. Natürlich dreht sich auch im Museum vieles nur um Diego. Gleich um die Ecke ist dann auch das "Cafe Diego". Und auch hier wird dem Star gebührend gehuldigt.
Mit dem Bus 60 oder 10 kommt man dann auch wieder zurück in die Innenstadt. Zwei Kilometer weiter befindet sich der sehr interessante Friedhof "Cemeterio Recoleta". Auch der ist ein Touristenmagnet. Ganze Busse werden hierhergekarrt. Damit ich nicht lange warten muß, habe ich mich in eine der wartenden Gruppen "eingeschmuggelt". Dieser Freidhof ist nicht einfach ein Friedhof, sondern eher ein Dorf mit vielen kleinen schmucken eng anaeinander gereihten, verzierten Villas. Jede dieser Villas stellt eine Familiengruft der reichen Argentinier dar. Manche haben sogar Fenster. Darinnen kann man die bis zu 150 Jahre alten, aufgebahrten Särge sehen - für mich alles ein wenig makaber. Ich will auch die Ruhe der Toten nicht allzu lange stören und sehe mir lieber die nebenan erbaute "Basilica del Pilar" an.
Und am letzten Abend gönne ich mir nochmals ein richtig saftiges argentinisches Rindersteak - medium.

 

 

Gefahrene Route

Gefahrene Route Südamerika

 

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